So schön ist das Leben

12.05.2017

Ein Erlebnisbericht vom 19. ensemble interregio

In der Kirche der Jungfrau Maria in Dubí begeisterte Františka Kurišová als Solistin auf der Blockflöte.
Konzert in Dubí unter Leitung von Prof. Volker Dietzsch.

Vor einigen Jahren habe ich einmal die Bemerkung „die Stille ist so laut!“ gelesen. Heute morgen, als die letzten Gäste uns verlassen haben und es ans Aufräumen ging, habe ich die Tragweite dieser Worte zu spüren bekommen, und mir standen Tränen in den Augen.

Zehn wunderbare und ereignisreiche Tage, in denen das Projekt „19. ensemble Interregio“ unser ganzes Tun bestimmt haben, liegen zurück. Die Räume der KulturTankstelle sind leer, das fast pausenlose Lachen, Musizieren und Durcheinander sind einer Ruhe gewichen, die schwer erträglich ist. Glücklicherweise beginnen heute Nachmittag wieder die normalen Unterrichtsstunden der Musikschule und viele Gesichter, welche dieses Erlebnis teilen, sind hier und musizieren weiter. Das ist wirklich eine Erlösung.

Nun wurde ich gebeten zu rekapitulieren, was in den letzten Tagen geschehen ist. So können vielleicht auch andere dieses wunderbare, aber auch wehmütige Gefühl verstehen. Bevor ich dazu komme, möchte ich aber im Namen des Musikvereins Bannewitz e.V. all jenen danken, die uns so zahlreich finanziell, tatkräftig, logistisch, pädagogisch und musikalisch unterstützt haben. Ohne all jene, wäre das Projekt in dieser Form überhaupt nicht möglich gewesen und es gäbe auch nichts zu berichten.

Unser Abenteuer begann am 28.04. 2017 um ca. 3.30 Uhr morgens. Gerald und Elisabeth Scholz empfingen die weißrussische Delegation nach einer fast 22 Stunden dauernden Anreise an unserer KulturTankstelle in Bannewitz. Nach kurzem Schlaf begannen mittags die Abreisevorbereitungen zur Jugendherberge Burg Hohnstein, die für uns in den nächsten drei Tagen Heimat und Arbeitsort zugleich werden sollte. Um 14.00 Uhr ging es los und bald hatten die ersten Teilnehmer auf Burg Hohnstein ihre Zimmer bezogen und die Instrumente in der Hand. Lachend begrüßten sich viele Mädchen und Jungen und Betreuer, man kennt sich aus früheren Projekten und bekannte Gesichter, ob aus Tschechien, Weißrussland, Deutschland oder anderen Nationen nach einem langen Jahr wieder zu sehen, bereitet einfach Freude. Was besonders auffiel, war, dass auch bei neuen Teilnehmern schnell die Berührungsängste schwanden.

Spätestens um 16.30 Uhr waren dann schon alle voll bei der Sache, denn es wurde geprobt. Nach kurzer Zeit fiel auf, wie gut alle Teilnehmer vorbereitet waren. Ich möchte bewusst darauf verzichten, hier irgendjemanden besonders hervorzuheben, da aus meiner Sicht jeder sein wirklich Allerbestes gegeben hat, um seinen Beitrag am Ganzen zu leisten. Das war von der ersten Minute an spür- und hörbar. Unser musikalischer Leiter Prof. Volker Dietzsch von der Sächsischen Staatskapelle, hat mir das im persönlichen Gespräch auch bestätigt. Ob Werke von Bach, Strauss oder den Beatles, von tschechischen oder weißrussischen Komponisten, alles deutete schon von Anbeginn der Proben darauf hin, dass wir in diesem Jahr musikalisch viel erreichen werden. Emotionsbedingte Tränen in den Augen waren keine Seltenheit. In anderen Räumen der Burg probten parallel der Chor, die Bläser, Schlagzeuger, Pianisten und Gitarristen. Verpflegung, Unterbringung und Probenbedingungen waren hier so gut, dass wir uns dazu entschlossen, wenn möglich das Probenlager 2018 wieder auf Burg Hohnstein durchzuführen. Es fühlten sich alle pudelwohl. Neben den Proben wurde in den Pausen gespielt, getanzt, gesungen und gewandert. Es wurden Neuigkeiten ausgetauscht und neue Freundschaften geschlossen.

Selbst ein bei der Wanderung durch die Sächsische Schweiz verstauchter Knöchel der Leiterin der weißrussischen Delegation konnte die Stimmung nicht vermiesen. Der Krankenhausbesuch in Sebnitz wurde zu einem zweistündigen Abenteuer für die weißrussischen Lehrer. Aber zum Glück konnte das Sebnitzer Notaufnahmeteam schnell Entwarnung geben.

Ein lustiges Erlebnis war auch, welche Entdeckungen einige unserer deutschen Jungs früh morgens machten. Nachdem ich sie darum bat, nicht schon vor 7 Uhr Trompete und Schlagzeug zu üben, waren eigenartige rhythmische Geräusche aus dem Probenraum zu hören. Den seltsamen Klängen auf der Spur, sah ich sie schließlich auf zwei ausgestellten Schreibmaschinen tippen, die sie als Rhythmusgeräte entdeckt hatten. Man sieht: Es muss nicht immer das Mobiltelefon sein, was Freude bereitet.

Mit welcher Leidenschaft zum Beispiel Instrumente von anderen Schülern untereinander ausprobiert und erklärt wurden, hat mich sehr beeindruckt und in der Annahme bestärkt, dass dieses Austauschprojekt auch eine Schule fürs Leben der Kinder ist. Musik verbindet, das wurde hier wieder bewiesen. Unterschiedliche Sprachen haben uns nicht daran gehindert, uns zu unterhalten, nicht nur über Musik. Natürlich gab es Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Themen, aber weder Hass noch fehlende Toleranz waren deswegen spürbar. Am letzten Tag der Proben in Hohnstein stieß dann noch unsere Tanzlehrerin Frau Prof. Olimpia Scardi mit den Tanzmäusen und deren Eltern zu uns. Sie probten drei Szenen des Märchens vom Aschenputtel. So verbrachten wir einen wunderbaren letzten Tag auf der Burg, welcher mit einer Gesamtprobe aller einstudierten Titel seinen Abschluss fand. Der Zuschauer-Beifall der Eltern stimmte uns schon auf die Konzerte am zweiten Wochenende ein. Nur kurze Zeit später ging es dann erst einmal für die tschechischen und deutschen Kinder zurück zu ihren Eltern. Schon bei der Rückreise nach Bannewitz schwärmten viele voller Vorfreude auf die kommenden auf uns wartenden Erlebnisse.

Die Delegation aus Minsk konnte aufgrund der weiten Entfernung natürlich nicht zurück nach Hause. Dank der vielen Hilfs- und Spendenleistungen der Bannewitzer Bevölkerung und vieler Firmen und Gewerben war es uns möglich in den folgenden Tagen eine gute Unterbringung für die weißrussischen Gäste zu organisieren, ihnen viele Erlebnisse zu bereiten und uns für ihre Freundschaft und professionelles Engagement zu bedanken. So besuchten sie noch am Sonntagabend das Hexenfeuer am Marienschacht und lauschten unserer Musik. „The Banneys“ wurden gebeten noch ein kleines Konzert in der KulturTankstelle für die Kinder zu geben, was dann auch am Dienstagabend nach dem Abendessen geschah. Am Montag dem 1. Mai besuchten wir mit unseren Gästen die Festung Königstein und am Abend fand die „kleinste Oper der Welt“ im großen Saal der KulturTankstelle ihre Aufführung. „Operamania“ brachte mit Ihrer Version des „Barbier von Sevilla“ alle zum Lachen und zum Staunen, wie musikalisch perfekt die Japanerin Tomomi Okuno (Flöte) und ihr Partner Martin Rotter (Österrreich) agierten. Am Dienstag gaben die weißrussischen Kinder ein kleines Konzert im Goppelner Altenheim bei den Nazarethschwestern. Weiterhin standen in den ereignisreichen Tagen der Besuch beim Bannewitzer Bürgermeister, eine Schulbesichtigung der Oberschule, Dresdner Stadtbesichtigungen, Besuche der Ausstellungen im Zwinger (Gemäldegalerie, Porzellanausstellung, technische Sammlungen), eine Stunde Kegeln im Bannewitzer Kegelheim und ein weiteres Konzert im Pflegeheim in Dippoldiswalde auf der Tagesordnung.

Am Freitag begannen dann am Nachmittag in voller Besetzung im Kompressorenbau Bannewitz die letzten Proben für die Konzerte. Unsere tschechischen und viele deutsche Teilnehmer fügten sich wieder unter herzlichen Umarmungen in die Gemeinschaft ein. Volker Dietzsch spornte alle noch einmal zu Höchstleistungen an, und wir gingen alle mit einem guten Gefühl ins Bett. Schon zu diesem Zeitpunkt war uns aber bewusster, dass sich unser diesjähriges Projekt seinem Ende näherte. Ich selber bin davon überzeugt, dass genau diese Emotionalität unsere Konzerte bereicherte und das Gefühl in den Klängen transportierte. Wir waren zusammengewachsen. Und das sollten dann unsere Zuhörer und Zuschauer auch bemerken.

Am Samstagmorgen ging es nach einem guten Frühstück auf Reisen. In zwei Bussen wurden wir nach Dubi gebracht. Die dortige Musikschulleiterin empfing uns voller Vorfreude und Aufregung. Auch wenn die Kirche in Dubi, was die Temperaturen angeht, alle Musiker sehr beanspruchte, war uns schon aus dem Vorjahr bekannt, welch gute Akustik dieses Gebäude besitzt. Nach ein paar kleinen Proben ging es dann schnell zum Mittagessen. Natürlich gab es das Nationalgericht „Knedliky mit Gulasch“. Lecker. Gestärkt führten wir dann ab 15.00 Uhr ein wunderbares Konzert auf. Der Höhepunkt für alle Zuhörer waren sicher das Flötenkonzert von Baston, welches von unserer tschechischen Blockflötistin hervorragend gespielt wurde, und natürlich die „Aschenbrödel“-Melodien von Karel Svoboda. Unter stürmischen Beifall wurden wir nach eineinhalb Stunden verabschiedet.

In Bannewitz erwartete uns dann das „Grill-Kollektiv“ zum Abendbrot. An dieser Stelle ein herzlicher Dank allen Schülereltern und Freunden für die hervorragende Versorgung in der letzten Woche. „Banda Internationale“ begleitete dieses mit zünftiger Musik aus aller Welt.

Am Sonntagmorgen ging es dann noch einmal in die Stadt zur Besichtigung der Frauenkirche und des Fürstenzuges, bevor ab mittags die Vorbereitungen für das große Abschlussprogramm in der Dresdner Lukaskirche begannen. Pünktlich um 14.30 Uhr öffneten dann unsere Hauptorganisatorin und Vereinsvorsitzende Elisabeth Scholz die Pforten der Lukaskirche. Schnell füllte sich der Saal und was dann folgte, ist nicht zu beschreiben. Wer mehr darüber wissen will, kann unsere Facebook- und Internetseite besuchen. Einiges haben wir schon veröffentlicht. Für mich steht fest, es war ein grandioses Konzert, bei dem man mit geschlossenen Augen nicht vermutet hätte, dass ein großer Teil des Orchesters aus Kindern (und Erwachsenen) bestand, die erst seit etwa vier, fünf Jahren ihr Instrument spielen. Denn das Besondere am ensemble interregio besteht auch darin, dass die unterschiedlichsten Leistungsvermögen der Spieler zu einem Ganzen vereint werden. So ist es auch der Verdienst der mit uns probenden Lehrer, alle heranzuführen und sei es z.B. auch mit einer vereinfachten Stimme im Orchester.

Mit meinem letzten Bogenstrich in der 3.Geige war klar, nun geht es ans Aufräumen und Verabschieden. Ein paar wenige Stunden blieben, und so blieben viele auch so lange es eben ging zusammen. Jeder wollte mit anpacken und räumen, nur um noch ein wenig in der Gemeinschaft zu bleiben. Viele tauschten Telefonnummern und Online–Adressen aus um weiterhin in Kontakt zu sein. Nicht selten fielen die Worte, du bist so nah wie das Mobiletelefon und der PC neben mir. Es hat also auch was Gutes. Ich selber habe nun einen „Russisches Facebook“ Zugang, über den ich seit einigen Stunden Danksagungen der Eltern von den weißrussischen Kindern erhalte. Sie sind und können stolz auf ihre Kinder sein und ich freue mich, dass die Kinder auch durch uns einen Traum leben können der ihren Eltern verwehrt zu sein scheint.

Am Abend in der Kulturtankstelle gab es dann nach dem Abendbrot schon einige Tränen und eine gewisse Stille. Aber noch dominierte die Freude über das Sein. Am Morgen beim Frühstück, welches Frau Lenski wie schon an so vielen Tagen vorher liebevoll angerichtet hatte, lag eine bedrückende Stille über allem. Nur der Strohhalm „das wir doch im nächsten Jahr gemeinsam dieses oder jenes Stück spielen könnten“ hielt die Gesprächigkeit einigermaßen aufrecht. Dann ging es ans Weinen und Winken. So ist das eben im Leben, jeder Abschied ist auch ein Anfang von etwas Neuem. Ich bin dankbar dabei gewesen sein zu dürfen und sehne ebenso den Tag herbei, an welchem wir uns wieder sehen. Tschechische, deutsche und weißrussischen Kinder und Erwachsene, die schon wieder im Alltag angekommen oder noch auf der Reise sind, denken wohl genau so.

Wer also in 2018 in irgendeiner Form unterstützen will, kann dieses ab heute weiter tun. Nur die vielen Spenden haben es möglich gemacht diese musikalische und menschliche Qualität nach Bannewitz zu holen. In diesem Sinne widme ich mich jetzt wieder der Tagesarbeit, denn ich höre unsere ersten Musikschüler die Treppen emporsteigen und dabei Lachen. So schön ist das Leben.

Gerry

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